Sonntag, 31. Oktober 2010

Was hat eine Pyramide mit Kontakt, Durchlässigkeit und Richtung zu tun?

Vereinslehrgang des Bramfelder Sportvereins e. V. mit Matthias Lange 4. Dan Aikikai/AFD am 30. und 31. Oktober 2010

Am Halloween-Wochenende den 30. und 31.10. 2010 trafen sich zahlreiche Aikidoka aus Hamburg und Schleswig-Holstein in der Halle des Landesleistungszentrums des Hamburger Judo Verbandes. Als Lehrer war Matthias Lange, 4. Dan Aikikai aus Hamburg, eingeladen.
Bereits um 13 Uhr trafen sich einige Vereinsmitglieder um in der Halle alles vorzubereiten: Das Buffet musste aufgebaut werden, die Matten gefegt und die Kamiza dekoriert und hergerichtet werden.
Ab 13.30 Uhr kamen dann auch schon die ersten Aikidoka im Foyer der Halle an. Nach und nach versammelten sich alle umgezogen auf der Matte. Um 14 Uhr ertönte dann das Klatschen des Meisters, alle sortierten und formierten sich und es wurde angegrüßt.
Nach einer kurzen aber knackigen Aufwärmgymnastik, erklärte uns Matthias was im Körper passiert, wenn man mit einem Impuls konfrontiert wird: Der Impuls kommt z.B bei einem Fauststoß in die Handfläche zuerst im Handgelenk an, läuft dann weiter über den Ellbogen in die Schulter, die Wirbelsäule runter, in die Hüfte, ins Knie und das Fußgelenk bis rein in den Boden.
Automatisch machen wir uns fest, spannen die Muskulatur an und fixieren uns so auf den Impuls, genauer: Wir müssen unsere Achse verlassen oder kippen (geben unser Gleichgewicht auf) und können kein Aikido mehr machen!
Also wurden wir auf die Durchlässigkeit aufmerksam gemacht - denn der Partner ist sowieso immer stärker und kräftiger als du! Mit einer Vorübung sollten wir versuchen uns durchlässiger zu machen. Der Uke macht einen Shomen-Tsuki in die offene Handfläche des Nage hinein und schiebt so - also gibt den Impuls - und der Uke geht nach hinten. Nicht mit durchgestrecktem Arm und angespannt, sondern locker und nachgiebig in Handgelenk, Ellbogen und Schultergelenk. Diese Durchlässigkeit sollte soweit gehen., dass der ankommende Impuls über die beschriebenen Gelenke bis runter in den Boden geht.
Umgekehrt sollte natürlich auch die Energie für den Shomen-Tsuki nicht aus Arm und Schulter kommen, sondern vom Boden über das Bein nach oben durch Wirbelsäule, Schulter und Arm gehen und erst dann ganz durchlässig und entspannt weitergegeben werden. Durch anschließendes Absenken bzw. Fallen lassen der Arme oder auch des Zentrums wurde die Führung und Richtung des Partners etwas deutlicher. Dabei ging es nicht um das Umlenken des Weges des Uke sondern lediglich darum, den Uke doch seinen Weg gehen zu lassen. Nage unterstützt Uke dabei nur etwas.
Diese Durchlässigkeit übten wir mit Hilfe der Techniken Irimi-Nage und Kokyo-Nage. Ein wertvoller Tipp von Matthias: "Habt ihr schon mal eine Pyramide gesehen? Das Fundament ist breit und stabil und wird nach oben hin immer kleiner und instabiler. Stellt euch diese Pyramide vor und versucht so die Pyramide eures Partners auf den Kopf zu stellen. Der Uke muss sich auf euch stützen, wenn ihr euch auf Uke stützen müsst, seid ihr festgelegt und könnt nicht mehr agieren. Mit diesen Gedanken ging es in die 30 min Pause.
Es gab ausreichend Kuchen, Wasser, Kaffee, Kekse, Saft und Obst zur Stärkung und wer wollte konnte schon mal einen Blick in die Karte des China-Restaurants werfen, in dem wir am Abend Essen gehen würden.
Nach der kleinen Stärkung ging es sofort weiter mit dem Tenkan Ashi. Dabei war es wichtig, den Uke nicht irgendwie von seiner Bahn abbringen zu wollen sondern eher, mit der eigenen Durchlässigkeit den Uke zu begleiten, doch seinen Weg zu gehen. Daraus wurde dann ein Kokyo-Nage gyaku-hamni gebastelt. In der Aufnahme den Tenkan- Ashi und in der Abwurfphase, einfach alles fallen lassen, und dabei seine eigene Achse wahren. Ein Zitat: "Das Gehängte muss einfach ins Bein fallen!" (Nein, liebe Männer, nicht dieses "Gehängte" woran ihr jetzt dachtet!)
Als nächstes kam Matthias zum Tenchi-Nage. Auch dort sollten wir wieder versuchen, die Durchlässigkeit zu erspüren, die richtige Richtung zu wählen und die eigene Achse unter Kontrolle zu halten. Als Bild gab uns Matthias das unendliche Universum mit. Es gäbe nichts außer Uns und dem Universum, die Erde-Hand geht ganz runter bis durch die Erde zum Südpol, während die Himmel-Hand die Sonne umarmt und Uke dabei fällt. Dabei galt es zu beachten, dass nicht mit der Schulter gegen den Partner gedrückt werden sollte, bzw. der Uke auf sich rauf gezogen werden sollte. Wieder einfach die Hand und das ganze Zentrum fallenlassen.
Alle Teilnehmer, egal welcher Graduierung, versuchten sich an den komplett neuen Bewegungsmustern und es war wirklich schwierig, die jahrelang mühsam eingeschliffenen Muster für kurze Zeit aufzugeben und neu anzupassen. Das Prinzip des Fallenlassens galt auch für den Shiho-Nage, beim Abwurf. Nicht am Arm zerren oder reißen, einfach locker fallen lassen, zusammen mit dem Zentrum. So schaffte es auch die Kleine Minderheit Männer mit 150 t Gewicht zu Fall zu bringen.
Um 17.30 Uhr war die 2. Einheit auch vorrüber, es wurde abgegrüßt, geduscht und sich umgezogen. Vor der Halle trafen sich die Hungrigen und gingen dann im Gänsemarsch rüber zum China-Restaurant Ming. Dort wurden die hungrigen Mägen mit chinesischen Köstlichkeilten gefüllt, und sich ausgiebig über das neu Gelernte und Erfahrene Aikido unterhalten.
Am Sonntagmorgen 9.15 Uhr trafen sich dann alle wieder in der Halle und das eine oder andere leicht umnächtigte Gesicht war anzutreffen. Aber Matthias sorgte mit seiner Aufwärmgymnastik schnell dafür, dass jegliche Müdigkeit verflog. Eine Wiederholung der Techniken von Samstag sorgte für die Vertiefung des Gefühls von Durchlässigkeit, Kontakt und Richtung.
Dann ging Matthias einen Schritt weiter und bat uns, sich mit Bokken zu bewaffnen.
Auch mit der Waffe demonstrierte er uns eindrucksvoll, dass auch im Aiki-ken die Durchlässigkeit durchaus von Vorteil und Nutzen sein kann. Nach ein paar Schnittübungen, um sich mit dem neuen Prinzip und auch mit sich selbst und dem Bokken auseinanderzusetzen, ging Matthias schon weiter in die Partnerübung.
Er zeigte uns, dass auch das Bokken, nicht mit Armen und Schultern zu führen und zu bewegen sei, sondern mit den Füßen. Alle Kraft für einen Schnitt müsse aus den Füßen und aus dem Boden kommen! Für mich gestaltete sich die Arbeit mit dem Bokken schwierig, vor allem die Partnerübung. Aufgrund meiner Seheinschränkung (Gucken mit nur einem Auge) fehlt mir die Einschätzung zum Räumlichen Sehen und zur Distanz. Somit hatte ich ganz schön an den Techniken zu knapsen, denn ich musste mehr oder weniger alles auf "mein Sehen" neu anpassen. Dies gelang mir zum Schluss ein wenig, kostete mich aber einen Haufen an Konzentration und Aufmerksamkeit. Somit konnte ich diese leider nicht ganz meinem Partner schenken, wie Matthias es uns zuvor ans Herz gelegt hatte. Jede Zelle müsse komplett auf den Partner ausgerichtet sein. Nach ein paar wilden Schwertfuchteleien, widmete sich Matthais noch mal Thema Kontakt. Dazu wieder ein Bild: Ein Berg ist viel schöner zu genießen, wenn man auf der Wiese liegend, angelehnt an ihn die Sonne genießt, als wenn man mühevoll und angestrengt raufklettern muss. Angegriffen wurde mit Shomen-Uchi, dann folgte ein Ausweichschritt und man begab sich hinter den Partner. Jetzt ging es keinesfalls darum, den Partner mit Kraft und Anspannung an den Schultern zu Boden zu reißen, sondern vielmehr darum, sich mit ihm in Kontakt zu begeben, ihn von hinten zu umarmen und ihn dazu zu bringen, sein Gleichgewicht auszugeben (Partner stützt sich auf uns, nicht wir aus ihn!) und ihn, vielmehr sein eigenes Zentrum und Arme fallen zu lassen.
Als leider vorerst letzte Technik zeigte uns Matthias ein Shomen-Uchi Kaiten Nage Soto.
Als Vorübung dazu, sollten wir einmal unsere Achse wahren, d.h nicht ausweichen wenn der Schlag auf uns zu kommt, sondern durch eine Handbewegung nach unten, sprich die Hand fallen lassen (und wer konnte auch innerlich das Zentrum) und so den Schlag umlenken. Der Schlag musste wieder auf seiner Linie belassen werden, also der Uke nicht von seinem Weg abgebracht werden. Dann wurde der zweite Arm einfach dazu gelegt, wie ein Schmetterling der sich auf dem Arm niederlässt, während der andere Richtung Nacken von Uke geht. Durch das Vorschieben der eigenen Achse und Absenken des Zentrums wurde Uke zu Fall gebracht.
Und so war dann auch diese Trainingseinheit viel zu schnell vorrüber. Nach dem Abgrüßen, und Standing-Ovation für Matthias überreichte Alfred ihm dann noch "Etwas Leckeres zum Locker werden!"
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Matthias, der mit viel Geduld, Ruhe und pragmatischen Beispielen wie z.B die Art und Weise, wie man ein Auto anschiebt oder mit dem Bild der umgekehrten Pyramide es geschafft hat, uns allen das durchlässige und entspannte
Aikido auf seine Art etwas näher zu bringen.
Natürlich auch einen Dank an alle fleißigen helfenden Hände, die das Buffet mit Essabrem ausgestattet haben.
Nach diesem Lehrgang wissen wir nun, was Kontakt, Durchlässigkeit und Richtung mit einer umgekehrten Pyramide zu tun haben.
Also denkt auch im Training daran, entspannt, durchlässig zu sein und schön auch die eigene Achse achten. Nicht kippen lassen - dann geht das mit dem Aikido machen auch irgendwie wie von selbst!

Domo arigato gozaimashita & liebe Grüße Tina

Keine Kommentare: